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17.12.2019
Ihre E-Mail vom 5.12.2019
Sehr geehrte Damen und Herren von „TripAdvisor Animal Welfare“,
am 5. Dezember erhielten wir folgende E-Mail aus Ihrem Unternehmen:

„Guten Tag Tiergarten Nuremberg,

Vor kurzem haben wir angekündigt, dass TripAdvisor Experiences und Viator ab Januar 2020 den Ticket-Verkauf für alle Attraktionen stoppen, die dazu beitragen, dass künftige Generationen von Waltieren  Wale, Delfine und Tümmler) weiter in Gefangenschaft gehalten werden.

Infolgedessen, ist es jeder kommerziellen Einrichtung, die Wale für die öffentliche zur Schaustellung züchtet oder einführt, ab Januar 2020 untersagt, Tickets auf TripAdvisor und Viator zu verkaufen. Einige Einrichtung qualifizieren sich möglicherweise jedoch für einen Ausnahmestatus und dürfen so weiterhin Tickets über unsere Plattform vertreiben.

Wir haben Tiergarten Nuremberg als eine Einrichtung identifiziert, in der Waltiere öffentlich zu Schau gestellt werden. Daher bemühen wir uns, festzustellen, ob Ihre Einrichtung für den Ausnahmestatus in Frage kommt.

Der Ausnahmestatus wird jeder Einrichtung gewährt, die eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllt:

Jede Einrichtung zum Schutz der Waltiere, die allen in Gefangenschaft gehaltenen Tieren ein dauerhaftes Lebensumfeld am/im Meer bietet*

Jede kommerzielle oder gemeinnützige Einrichtung, die derzeit alternative Schutzgebiete für in Gefangenschaft lebende Waltiere im Meer entwickelt und sich öffentlich dazu verpflichtet, alle in Gefangenschaft lebenden Tiere, die sie besitzt, in angemessener Weise in diese Umgebungen umzusiedeln.

Jede WAZA** akkreditierte Einrichtung, die sich offiziell und öffentlich verpflichtet hat, alle der folgenden Praktiken umzusetzen:

  • Beendigung und Unterbindung der Zucht von Waltieren in ihrem Besitz
  • Beendigung der Einfuhr oder Übernahme von in Gefangenschaft gehaltenen Waltieren aus anderen Einrichtungen, um diese zur Schau zu stellen
  • Beendigung des Einfangens sowie der Einfuhr von wilden Waltieren, um diese zur Schau zu stellen

Wenn Tiergarten Nuremberg eines der oben aufgeführten Ausnahmekriterien erfüllt, können Sie den Ausnahmestatus anfordern, indem Sie auf diese E-Mail antworten oder sich bis spätestens 20. Dezember 2019 an [email protected] wenden.

Ihre Antwort muss Belege für einen Antrag auf Freistellung enthalten. Wenn von der Einrichtung öffentliche Zusagen als Beweis angeführt werden, muss dies entweder in Form einer Pressemitteilung oder einer von einem seriösen Medienunternehmen veröffentlichten Berichterstattung erfolgen.

Bitte beachten Sie, dass Tiergarten Nuremberg weiterhin als Attraktion auf TripAdvisor aufgeführt wird, unabhängig davon, ob es für den Ausnahmestatus in Frage kommt. Reisende können weiterhin Bewertungen, Ratings und Fotos abgeben, und die Einrichtung wird weiterhin wie auch heute schon in den TripAdvisor-Rankings angezeigt werden. Erfahren Sie hier mehr über unsere Tierschutzrichtlinien.

Wenn Sie Fragen zu unseren Richtlinien haben oder nicht sicher sind, ob Ihre Einrichtung für den Ausnahmestatus berechtigt ist, wenden Sie sich bitte an: [email protected]

Danke,

TripAdvisor Animal Welfare

*Ein Schutzgebiet am Meer ist ein natürlicher Küstenwasserabschnitt wie eine Bucht, in der Waltiere so gut wie möglich in einer natürlichen Umgebung leben, und die gleichzeitig Schutz und Aufsicht durch qualifiziertes Viehzucht- und Veterinärpersonal bietet. Meeresschutzgebiete müssen sich an eine strenge Nichtzuchtrichtlinie halten, dürfen ihre Tiere nicht für Vorführungen oder Aufführungen für die Öffentlichkeit ausbilden und müssen alle Formen der körperlichen Interaktion zwischen Gästen und Tieren, einschließlich der Begegnungen von Mensch und Tier im Wasser, verbieten.

**Die Akkreditierung muss durch einen Mitgliedsverband des Weltverbandes der Zoos und Aquarien (WAZA) erfolgen.“

 

Leider kann ich Ihren Brief an meinen Zoologischen Garten nur unpersönlich beantworten, da Sie ihn mir ohne Nennung eines konkreten Ansprechpartners zugesendet haben. Die Inhalte dieses Briefes hatten Sie im Oktober 2019 als Global News Release veröffentlicht. Da Ihr Schreiben Teil einer öffentlichen Imagekampagne für Ihre Reiseplattform zu sein scheint, antworte ich Ihnen mit größt möglicher Transparenz für Ihre Kunden in der Form des Offenen Briefes.

 Sie haben uns mitgeteilt, dass Sie keine Eintrittskarten in den Tiergarten der Stadt Nürnberg mehr verkaufen werden, weil der Tiergarten Nürnberg Delphine hält.

In Ihren Tierschutzrichtlinien berufen Sie sich auf „wissenschaftliche Beweise“, dass die Haltung von Delphinen tierschutzwidrig sei. Tierschutzwidrigkeit muss anhand konkreter Haltungsbedingungen und konkret betroffener Tiere nachgewiesen werden. Das hierfür notwendige Werkzeug „Animal Welfare Assessment“ ist eine wissenschaftliche Disziplin. Zur Beurteilung des „Animal Welfare Status“, also des individuellen Wohlergehens von Delphinen, bedarf es methodisch einwandfreier wissenschaftlicher Methoden, die in jedem Einzelfall anzuwenden sind. Ihrer Ablehnung unserer Tierhaltung fehlt jeder Bezug auf ein konkretes „Welfare Assessment“. Sie erwähnen nicht einmal, welcher Methode des Assessments Sie sich für Ihre Bewertung bedienten.

Eine pauschale Diskreditierung der Haltung von Delphinen in meiner Zoologischen Einrichtung halte ich aus wissenschaftlicher Sicht für unseriösen Populismus.

Deshalb zur unmissverständlichen Klarstellung: Wir stellen keinen Antrag auf einen „Ausnahmestatus“ bei Ihnen. Wir lehnen Ihre Forderungen aus fachlichen Gründen zum Wohle unserer Tiere ab.

Auf einer vom Tiergarten Nürnberg organisierten internationalen Konferenz zum Schutz von Delphinen in Küsten- und Binnengewässern (ESOCC Meeting – Ex situ Options for Cetacean Conservation) wurde im vergangenen Jahr erst ein integrierter Ansatz zur Rettung von sieben akut gefährdeten Delphinarten formuliert, der dem Konzept des „One Plan Approach“ folgt und die Haltung und Erforschung bedrohter Arten in Menschenobhut als festen und unverzichtbaren Bestandteil aktueller Schutzstrategien identifiziert.

Wir können auf vielen Ebenen Debatten führen über best practice im ex situ Management von marinen Säugetieren, aber es ist heute geradezu unverantwortlich zum Boykott von Einrichtungen aufzurufen, ohne deren Expertise und ohne deren bauliche Infrastrukturen ein erfolgreicher Schutz bedrohter Arten immer schwieriger und unwahrscheinlicher wird.

Ihr Schreiben kommt zur Unzeit und zeugt von großer Ignoranz in Bezug auf Handlungsoptionen und bald wohl Handlungszwänge im internationalen Artenschutz küsten- und binnengewässerbewohnender Delphine

Angesichts der großen Verantwortung, die wir Menschen – und in besonders pikanter Weise auch und besonders die Tourismusindustrie – für die ökologische Integrität von Küsten- und Binnengewässern haben, erschüttert mich die Schludrigkeit Ihres Schreibens, das angeblich dem Wohlergehen von Delphinen dienen soll, faktisch aber überhaupt keine Recherche zu konkreten Handlungsoptionen erkennen läßt.

TripAdvisor hingegen dürfte durchaus profitorientiert arbeiten und sich eher zu den kommerziellen als zu den caritativen Plattformen zählen. Bei Ihrer Vorgehensweise liegt der Verdacht nahe, dass Ihr Einsatz für Delphine in erster Linie eine Marketingkampagne für das Image Ihres Unternehmens sein könnte.

Fehlanzeige 2: Ein „dauerhaftes Lebensumfeld“ am Meer für „in Gefangenschaft gehaltene Tiere“ ist ein unsinniges Kriterium zur Gütefeststellung einer Einrichtung. Meines Wissens gibt es keine erfolgreiche Haltung unter den von Ihnen beschriebenen Bedingungen. Ob die zwei nach Island verfrachteten Belugas in dem für sie wieder ertüchtigten „Sanctuary“ überleben werden, wird sich zeigen, wenn sie im Frühjahr 2020 aus ihrer überdachten Behausung in die eingenetzte Bucht gesetzt werden.

Fehlanzeige 3: „Alternative Schutzgebiete“ werden zurzeit für sieben stark bedrohte Delphinarten gesucht. Diese ex situ Optionen für bedrohte Delphinarten werden sinnigerweise nicht für die noch unbedrohten Tümmler vorgesehen, die unter unserer Obhut bereits ein sehr gutes und behütetes Leben genießen. Wenn wir in die Zukunft von Delphinen investieren wollen, dann sollten wir sinnstiftende Projekte unterstützen, die dem Überleben bedrohter Arten zugutekommen anstatt Experimente mit bereits gut untergebrachten Tieren zu fordern.

Fehlanzeige 4:

In Ihrer Tierwohlrichtlinie beziehen Sie sich ausschließlich auf das Wohl von Tierindividuen, die in Menschenobhut gehalten werden, schlagen aber eine Translokation der Tiere in offene Meereskäfige vor. Damit unterliegen Sie den Kriterien der IUCN-Richtlinien zur Auswilderung und/oder Translokation von Wildtieren. Es ist mir bewusst, dass diese Richtlinien keinen Gesetzescharakter haben. Aber es sind international anerkannte naturschutzfachliche Standards, die eingehalten werden sollten, weil nicht fachgerechtes Ausbringen von Wildtieren große Risiken sowohl für betroffene natürliche Habitate, als auch für die Tiere selbst birgt. Ihre simplen Vorstellungen von Tierwohl und Natur bewerte ich als zielverfehlend.

Fehlanzeige 5:

Die Beendigung der Zucht von Waltieren ist eine tierschutzfachlich leichtfertige Forderung, der wir zum Wohle der Tiere und ihrer Sozialstruktur keinesfalls entsprechen wollen. Unsere Einrichtung dient dem Artenschutz und dem nachhaltigen Populationsmanagement von den bei uns gehaltenen und europaweit koordinierten Zuchtgruppen. Ihre Forderung richtet sich gegen die sozialen Bedürfnisse der Tiere. Das lehnen wir ab. Selbstverständlich werden wir auch weiterhin im Rahmen des Europäischen Zuchtprogramms Tiere grenzübergreifend austauschen.

Fehlanzeige 6:

Das Einfangen von Tieren aus der Wildbahn können wir leider nicht beenden, weil wir das seit Jahrzehnten nicht mehr tun.

Die Naturentnahme und der Handel mit Pflanzen und Tieren werden zudem über die CITES geregelt und richten sich zum Glück nicht an Interessen der Tourismusindustrie aus.

Das EAZA Ex situ Programm für Große Tümmler koordiniert die Population der Tümmler in den wissenschaftlich geführten Zoos Europas. Seit 2003 werden keine Tümmler aus der Wildbahn in die Population eingebracht. Die Population wächst nachhaltig und geht in die dritte Generation in Menschhand.

Fazit:

Aus meiner Sicht spielen Sie In Ihrem schlecht recherchierten und potentiell tierschädlichen Forderungsschreiben ein ungutes Spiel mit der Popularität moralisierenden Tierschutzes, mit dem Sie dem Schutz der Spezies fachlich eher schaden und dem Wohlergehen der von uns gehaltenen Tiere keinesfalls nützen.

Es würde mich freuen, wenn Sie künftig in seriöser und partnerschaftlicher Weise auf uns zugehen, wenn Sie offene Fragen zum Wohlergehen unserer Tiere haben. Vielleicht hätten Sie von dem Schreiben abgesehen, wenn Sie unsere Einrichtung vorher kennengelernt hätten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Dag Encke

Leitender Direktor